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Die Kunst, das Leben nicht zu bereuen – Interview mit Irvin D. Yalom

Die Kunst, das Leben nicht zu bereuen – Interview mit Irvin D. Yalom

Als ich in der klaren, von zarten Sonnenstrahlen durchdrungenen Morgenluft über den gehegten und gepflegten Campus der Stanford Universität spaziere, fallen mir zwei Dinge ein, die Irvin Yalom in seinen kürzlich erschienenen Memoiren beschrieben hat. Erstens, dass er sich glücklich schätzt, an dem Ort mit dem seiner Meinung nach besten Wetter der Welt zu leben. Und zweitens, dass seine behütete Existenz, frei von großen Schicksalsschlägen, für einen Therapeuten eine Bürde bedeuten kann. Dies gilt auch und vielleicht gerade für einen Therapeuten wie ihn, der sich mit den großen Fragen des Lebens beschäftigt: dem Tod, der Freiheit, der Vereinzelung und dem (Un)Sinn des Lebens.

Irvin Yalom ist ein berühmter Schriftsteller, bekannt für Romane wie „Und Nietzsche weinte“ oder „Die Schopenhauer Kur“, die nicht nur hierzulande Bestseller waren. In seinen Büchern verbindet er philosophische Gedanken mit seinen Erfahrungen und Ansichten als Psychotherapeut. Er ist ja nicht zuletzt einer der Begründer eines eigenen Zweiges der Psychotherapie, der existentiellen Psychotherapie. Gleichzeitig hat er in seiner Karriere wichtige Impulse für gruppentherapeutische Ansätze geliefert, die die Psychotherapie nachhaltig beeinflusst haben.

In einem Live-Video-Interview veranstaltet von The School of Life Berlin hatte ich die Gelegenheit, ihm Fragen über sein Leben als Schriftsteller, Therapeut und über den Menschen Irvin Yalom zu stellen. Dabei erschien er in Überlebensgröße auf der Leinwand des Kinos Babylon Mitte in Berlin. Wenige Tage später treffen wir uns auf dem Campus der Stanford University in der Nähe von San Francisco. Ich habe mich mit ihm im Faculty Club der Universität zum Mittagessen verabredet. Als ich ihn erblicke, bin ich von seiner fragilen Erscheinung überrascht. Ich erinnere mich an die Fotos aus seinem Leben, die in seinen Memoiren enthalten sind. Darin hat er stattlicher gewirkt. Aber heute, mit 86 Jahren und einem Gehstock bewaffnet, ist es zunächst schwer, seine schmächtige Gestalt mit seiner Wirkungsmacht als Autor und Therapeut in Einklang zu bringen.

Die Diskrepanz zwischen der überlebensgroßen Erscheinung als Autor und Therapeut und der hageren Erscheinung als Mensch ist jedoch schnell überwunden, als ich ihm gegenübersitze und er mit einer Stimme meine Fragen beantwortet, die stets warm und freundlich ist. Das folgende Interview ist aus beiden Unterhaltungen entstanden.

Martin Ebeling: Herr Yalom, wie ist die Anspielung auf Nietzsche im Titel Ihrer Memoiren zu verstehen? Der Titel Wie man wird, wer man ist (engl. Becoming Myself) legt ja nahe, dass Sie mit Nietzsches These übereinstimmen, dass der Akt der Selbsterschaffung auf ein Leben abzielen muss, zu dem wir schicksalsmäßig bestimmt sind.

Irvin Yalom: Bevor ich diese Frage beantworte, eine Bemerkung zum Titel: Dieser Titel war gar nicht mein Favorit. Wäre es nach mir gegangen, trüge das Buch als Titel ein anderes Nietzsche-Zitat aus Zarathustra: »War das das Leben? Wohlan! Noch Ein Mal!« Doch der Verlag hat den Titel abgelehnt und mir wiederum vorgeschlagen, das Buch schlicht „War das das Leben?“ zu nennen – eine schreckliche Alternative! Das klingt so, als wäre ich von meinem Leben enttäuscht. Und wir können Nietzsche so verstehen, dass er über das Bereuen spricht. Bereuen tue ich in meinem Leben nur wenig. Im Großen und Ganzen würde ich es also noch einmal so leben.

Die Frage des Bereuens hat mich übrigens lange in meiner therapeutischen Tätigkeit mit todkranken PatientInnen beschäftigt. Dabei habe ich sie oft gefragt: „Können Sie Sich vorstellen, ein Leben zu leben, in dem Sie nichts bereuen? Wie sähe so ein Leben für die nächsten ein oder zwei Monate aus?“

Martin Ebeling: Vielleicht kann ich die Frage dann anders formulieren: Können Sie Sich vorstellen, ein radikal anderes Leben gelebt zu haben und trotzdem heute so wenig zu bereuen?

Irvin Yalom: Nein, das kann ich nicht. Ein Leben als reiner Schriftsteller wäre eine Alternative gewesen. Mein Interesse galt immer der Literatur, und bis heute gehe ich nicht ins Bett, ohne davor wenigstens einige Seiten eines Romans gelesen zu haben. Zurzeit lese ich übrigens Moby Dick, den besten amerikanischen Roman überhaupt. Meine Eltern waren aber arme jüdische Immigranten, deren größter Wunsch es war, ein Teil der amerikanischen Gesellschaft zu werden. Für uns bedeutete dies damals, dass wir Ärzte werden mussten. Es gab da einen Witz: Wir können uns zwischen zwei Dingen entscheiden. Entweder wirst du ein Arzt, oder du wirst ein Versager. Deshalb habe ich zunächst den Weg über das Medizinstudium gewählt.

Martin Ebeling: Gab es denn in Ihrem Leben Momente, in denen Sie Angst hatten, als Versager enden zu können?

Irvin Yalom: Ich war immer ein Musterschüler und habe sehr hart gearbeitet. Deshalb hatte ich solche Ängste nicht. Einerseits musste ich das tun, um zum Medizinstudium zugelassen zu werden, und andererseits, um meine Frau dazu zu bringen, mich zu heiraten.

Martin Ebeling: Aber es gab zumindest einen Moment, in dem Sie eine existentielle Entscheidung getroffen haben, die mit großer Unsicherheit verbunden war. Als Sie Professor an der Stanford University wurden, haben Sie Sich entschieden, sich intensiv mit Philosophie zu beschäftigen und die Psychiatrie, Ihr eigentliches Fachgebiet, hinter sich zu lassen.

Irvin Yalom: Als ich als Psychiater ausgebildet wurde, hatte ich eine Erleuchtung. Damals habe ich ein Buch von Rollo May gelesen, einem in den USA sehr einflussreichen Psychologen, das mich tief beeinflusst hat. May und europäische Psychologen wie Ludwig Binswanger haben über den Tod und existentielle Fragen geschrieben. Dabei ist mir zum ersten Mal bewusstgeworden, dass die wichtigen Ideen in meinem Gebiet nicht mit Freud ihren Anfang nahmen, sondern viel älter sind. Wir finden sie schon in den Anfängen der Philosophie bei Aristoteles und vor allem bei Epikur. Deshalb habe ich angefangen, ernsthaft Philosophie zu studieren.

Martin Ebeling: Es gibt da vier zentrale Sorgen, die existentielle Denker als Strukturmerkmale der menschlichen Existenz identifiziert haben: unsere Angst vor dem Tod, unsere Freiheit, die mit der Verantwortung für unseren Lebensentwurf verknüpft ist, unsere Isolation von anderen und die Suche nach einem Lebenssinn. Gibt es denn Muster, nach denen diese Themen in der Therapie auftauchen oder wie sie als Probleme überwunden werden können?

Irvin Yalom: Das ist eine große Frage. Ich habe mich viel mehr mit dem Tod befasst als mit den anderen Themen, die Sie genannt haben. Als Therapeut habe ich mich entschieden, mit todkranken Patienten zu arbeiten, um mehr über die Angst vor dem Tod herauszufinden. Das hat dazu geführt, dass ich selber das Bedürfnis hatte, in Therapie zu gehen, um mit der Angst vor meinem eigenen Tod zurande zu kommen. Zum Glück war damals der schon erwähnte Rollo May gerade nach Kalifornien gezogen und hat sich meiner als Therapeut angenommen. Aber meine Angst vor dem Tod hat sich dabei wohl auf ihn übertragen, er war schließlich 20 Jahre älter als ich. Heute begegnet mir der Tod auf sehr direkte Weise. Drei enge Freunde, mit denen ich als Medizinstudent Leichen seziert habe, sind allesamt letztes Jahr gestorben.

Martin Ebeling: Sie hatten in Rollo May einen guten Therapeuten, anderen hilft die Religion, um mit der Endlichkeit des Lebens umzugehen. Sollten wir diejenigen beneiden, für die Religion eine so heilsame Wirkung hat?

Irvin Yalom: Ich habe zwar mal einen Preis dafür bekommen, dass ich mich mit religiösen Fragen beschäftigt habe, aber das war sehr überraschend. Meine Erfahrungen mit dem Judentum waren nicht sehr positiv und ich bin schon lange Atheist.

Martin Ebeling: Wenn wir Ihre Erfahrungen mit dem Judentum für den Moment ausklammern, gibt es denn Religionen, die mehr Hilfe bieten als andere, wenn es darum geht, dem Tod und anderen existentiellen Fragen gegenüberzutreten?

Irvin Yalom: Ich glaube, Religionen lassen uns alle von einem Leben nach dem Tod träumen, aber darauf gibt es keinerlei Hinweise, eher im Gegenteil. Viele empfinden meine Einstellung als Anfeindung, aber wenn eine Religion meinen Patienten Trost spenden kann, würde ich dem nie widersprechen.


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Martin Ebeling: Es gibt eine Praxis oder Religion, wenn man sie so nennen möchte, die in den letzten Jahren in westlichen Gesellschaften immer mehr in Mode gekommen ist, den Buddhismus. Sie selbst haben schon in den 70ern Erfahrungen mit Meditation gesammelt, die allerdings eher abschreckend gewesen zu sein scheinen. Heute sagen Sie, Sie hätten mehr Respekt und neues Interesse für das Meditieren gefunden.

Irvin Yalom: Das stimmt. Vor vielen Jahren habe ich in Indien einen Kurs bei dem berühmten Meditationslehrer S. N. Goenka, besucht. Das war für mich leider keine hilfreiche Erfahrung. Ich habe aber heute einige buddhistische Freunde, die mich inspiriert haben, es wieder mit der Meditation zu versuchen, und ich meditiere manchmal vor dem Schlafengehen, um mich zu entspannen.

Martin Ebeling: Aber gibt es da nicht einen fundamentalen Widerspruch zwischen der Idee der Achtsamkeit, die besagt, dass wir urteilsfrei unsere Gedanken und Emotionen beobachten sollen, und der Grundannahme der Psychotherapie, die dass wir uns intensiv mit beiden beschäftigen sollen?

Irvin Yalom: Nein, ich glaube, dass Meditation wie Psychotherapie auch uns dabei helfen kann, mit unseren Sorgen umzugehen. Ein enger Freund von mir, dessen Frau vor kurzem gestorben ist, meditiert seit vielen Jahren, und ich war genauso wie auch er erstaunt, wie gut er mit diesem Verlust umgehen konnte. Seine Meditationspraxis hat ihm dabei viel geholfen. Ich respektiere das sehr, auch wenn mir das Meditieren nicht leichtfällt.

Martin Ebeling: Um nochmal auf den Titel Ihrer Memoiren zurückzukommen. „Werden, was ist man ist“, das klingt nach einem recht einsamen Prozess. Gibt es Personen, die Ihnen dabei geholfen zu haben, zu werden, wer Sie sind?

Irvin Yalom: Da gibt es natürlich zunächst meine Frau Marilyn. Wir haben uns kennengelernt als ich 15 und sie 14 Jahre alt war, und ich habe damals schon mit einem Freund darauf gewettet, dass ich sie heiraten werde. Marilyn war immer mein intellektueller Partner und hat selbst viele Bücher geschrieben. Meine größte Angst heute ist, ohne sie leben zu müssen. Erst jetzt, während des Schreibens meiner Memoiren, ist mir aber auch bewusstgeworden, was für eine große Stütze viele Menschen während meiner Karriere als Psychiater und Therapeut waren. Ich habe mich also nicht ganz selbst erschaffen, obwohl ich lange dieses Bild von mir hatte. Das hatte wahrscheinlich mit meiner Armutserfahrung in der Kindheit zu tun und damit, dass ich in den ersten 15 Lebensjahren überhaupt keinen Mentor hatte, niemanden, der mir Orientierung geboten hätte in der Welt des Wissens.

Martin Ebeling: Sich selbst neu zu erschaffen kann auch mit hohen Kosten verbunden sein. Sie haben sich ja ganz von Ihren Wurzeln entfernt, sowohl geographisch als auch intellektuell. Aufgewachsen sind Sie als Sohn ungebildeter und mittelloser jüdischer Einwanderer, die das Leben, die Träume, die Sorgen und den intellektuellen Horizont Ihres Sohnes nicht wirklich nachvollziehen konnten. In gewisser Weise kann man während der Selbsterschaffung also den Boden verlieren, auf dem man einst stand.

Irvin Yalom: Da ist viel Wahres dran. Ein Patient von mir, der ein sehr erfolgreiches Leben hatte, hat es einmal so ausgedrückt: „Ich bin wie eine Lilie, die im Sumpf wächst. Sie ist wunderschön anzusehen, hat aber keine tiefen Wurzeln.“ Er hatte stets das Gefühl, deshalb vielleicht als jemand erkannt zu werden, der andere täuscht. Und auch ich habe das Gefühl, dass mir die tiefen intellektuellen Wurzeln in meine eigene Vergangenheit fehlen.

Martin Ebeling: Ist Schreiben für Sie dann eigentlich eine therapeutische Tätigkeit? In Ihren Memoiren schreiben Sie, dass es an der Zeit sei, Ihrem Vater für sein Schweigen Ihnen gegenüber zu verzeihen, und auch dafür, dass er ein Immigrant war, ohne Bildung und mit wenig Verständnis für die eher trivialen Unwägbarkeiten, denen sein Sohn im Leben begegnete. Hatte dieser öffentliche Akt des Verzeihens vor Ihren Lesern auch einen therapeutischen Wert für Sie?

Irvin Yalom: Das ist eine sehr interessante Frage, und die Antwort ist wohl ja. Das Schreiben ist zumindest eine Hilfe, auch wenn es keine Heilung mit sich bringt. Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich nicht genug Dankbarkeit aufgebracht habe für das, was meine Eltern eben doch alles für mich getan haben. Es ist irgendwie auch seltsam, hier sitze ich mit 86 Jahren und kämpfe immer noch mit meinen Erlebnissen in der Kindheit.

Zu diesem Thema muss ich eine kurze Geschichte erzählen. Vor kurzem hatte ich eine Patientin, die in ihrer Kindheit von ihrem Vater und anderen ihr nahestehenden Personen sexuell missbraucht wurde. In ihrer Jugend war sie dann drogensüchtig und in der Folge bei verschiedenen Suchttherapiezentren und hat sich kognitiver Verhaltenstherapie unterzogen. Aber dabei hat sie nie auf tieferer Ebene ihre Beweggründe und ihre Vergangenheit erforscht und Mitgefühl für sich selbst entwickelt. Ich habe dann etwas sehr Ungewöhnliches getan. Als sie das nächste Mal zu mir kam, habe ich ihr ein Foto von dem Haus gezeigt, in dem ich gelebt habe, bis ich 15 Jahre alt war. Ich wollte ihr sagen, „Ich habe es geschafft, mich davon zu befreien, und Du kannst das auch!“ Bevor ich es über die Lippen gebracht hatte, haben sich meine Augen plötzlich mit Tränen gefüllt und ich fing an zu weinen. Woher kommen diese Tränen? Ich bin dabei, dies herauszufinden, und dabei hilft mir das Schreiben. Es muss mit Erlebnisses zusammenhängen, die ich hatte, bevor ich zu sprechen gelernt habe. Melanie Klein hat viel über diese Phase der frühen Kindheit geschrieben.

Martin Ebeling: Sprechen wir über Ihre eigenen Kinder, die sagen, dass Ihre Beziehung mit Ihrer Frau Marilyn meistens wichtiger war als die Beziehung, die Sie beide zu Ihren Kindern hatten. Ist das das Geheimnis einer glücklichen Ehe?

Irvin Yalom: Nein, ich glaube, da habe ich nicht immer die richtigen Prioritäten gesetzt. Die zwei Dinge, die mich im Leben wirklich in ihren Bann gezogen haben, waren meine Frau und das Schreiben. Ich liebe mich Kinder und verbringe gerne Zeit mit ihnen, zum Beispiel beim Schach spielen. Aber ich hätte ein besserer Vater sein können, und das ist eins der wenigen Dinge, die ich bereue.

Martin Ebeling: Stellen Sie Sich vor, Sie könnten Ihr Leben unterteilen. Wie oft denken Sie an sich in erster Linie als Schriftsteller, als Therapeut und als Vater?

Irvin Yalom: Oh je, das ist eine wirklich schwierige Frage, die ich kaum beantworten kann. Ich sehe die Welt durch die Augen eines Schriftstellers und entdecke überall Geschichten, die man entwickeln könnte. Als ich meine Memoiren geschrieben und mein Leben dabei in Abschnitte unterteilt habe, habe ich weniger daran gedacht, was meine Kinder wann getan haben, sondern daran, wie mein Leben als Schriftsteller und mein Leben als Therapeut sich entfaltet haben. Diese Teile meines Lebens haben vielleicht etwas überhand gewonnen. Meine Kinder haben mir das zum Glück aber nicht übelgenommen.

Martin Ebeling: Es gibt da diese Geschichte, dass Sie mit Ihrer Frau gemeinsam die Droge Ecstasy genommen haben. Das war zu einer Zeit, in der Ihre Beziehung so ihre Probleme hatte. Erstaunlicherweise, so schreiben Sie, sind durch Ihren Drogentrip viele dieser Probleme verschwunden. Ist das vielleicht dann das Geheimnis Ihrer glücklichen Ehe?

Irvin Yalom:Das Ecstasy kam übrigens von Rollo May, meinem ehemaligen Therapeuten, mit dem wir es auch gemeinsam genommen haben. Es war ein magischer Abend, und ja, viele Probleme in unserer Beziehung haben sich dabei in Luft aufgelöst. Einer meiner Patienten hatte vor kurzem eine ähnliche Erfahrung, als er auf dem Festival Burning Man, das jährlich in der Wüste Nevadas stattfindet,mit seiner Frau Ecstasy genommen hat. Die Empfehlung kam aber nicht von mir. Ich kann nur von meinen Erfahrungen berichten.

Martin Ebeling: Als in den 60ern zum ersten Mal mit LSD geforscht wurde, haben auch Sie an Experimenten teilgenommen. Heute erleben wir eine Renaissance der Forschung mit psychodelischen Substanzen, zum Beispiel wenn es um die Angst vor dem Tod von KrebspatientInnen geht, aber auch in vielen anderen Gebieten. Hat Ihre Erfahrung mit LSD verändert, wie Sie dem Leben begegnen?

Irvin Yalom: Nein, in den Experimenten damals ging es um die Erforschung der Wirkung von LSD auf die unterbewusste Wahrnehmung. Das waren spannende Experimente, in denen auch ein Effekt festgestellt werden konnte. Einen größeren Effekt auf mein Leben hatten diese Erfahrungen aber nicht. Ich habe aber einen anderen Patienten, der in seinem Kopf Stimmen hörte, die seinen Vater und seinen Hund beleidigten. In der Therapie haben wir damit wenig Fortschritte erzielt. Dann hat er auf demselben Festival Pilze mit psychodelischer Wirkung konsumiert, und diese Störung ist auf fast wundersame Weise verschwunden. In anderen Ländern gibt es spannende Studien zu diesen Effekten. Meine eigenen Erfahrungen mit Drogen sind aber recht beschränkt. In letzter Zeit habe ich aus medizinischen Gründen gelegentlich Marihuana konsumiert, um meinen Appetit anzuregen. Aber dabei ist es auch geblieben.

Martin Ebeling: Eine letzte Frage habe ich noch: Memoiren sind zumindest in Teilen fiktional. Erstens schreiben Sie selber, dass es problematisch sein kann, die eigenen Erinnerungen zu rekonstruieren. Zweitens treffen Sie ja als Autor eine Auswahl, welche Aspekte des Menschen Irvin Yalom Sie Ihren LeserInnen präsentieren wollen. Gibt es einen Aspekt Ihrer Persönlichkeit, den Sie dabei bewusst vor dem Publikum verstecken?

Irvin Yalom: Nein, ich denke, ich bin ziemlich ehrlich, wenn es um mich selbst geht. Aber es gibt da die Tatsache, dass ich heute wie niemals zuvor mit meiner Kindheit in Kontakt stehe. Und ich arbeite gerade an einem Artikel darüber, wie wir unsere Kindheitserinnerungen aus der vorverbalen Phase ergründen können. Da gibt es definitiv etwas über mich, das ich nicht verstehe und artikulieren kann.

Martin Ebeling: Herr Yalom, vielen Dank für dieses Gespräch.

Sein Wirken als etwas begreifen, das sich in die Zukunft entfaltet, diesen Effekt nennt Irvin Yalom „rippling“. Der Begriff beschreibt die Wellen, die sich bilden, wenn man einen Stein ins stille Wasser wirft. Wie sich Yaloms Lebenswellen entfalten, kann man in seinen Memoiren wunderbar miterleben.

Über Martin Ebeling:
Dr. Martin Ebeling ist Philosoph und Head of The School of Life for Business Germany. Mit der Mission, unser Potential zu emotionalem Wachstum zu verwirklichen, engagiert er sich als Speaker, Trainer und Moderator, auch wenn er sich selbst lieber als „Instigator of Ideas“ bezeichnet. Er ist davon überzeugt, dass Arbeit und Lebensglück sich nicht im Wege stehen und arbeitet daran, dass Achtsamkeit und (Selbst-)Mitgefühl verstärkt Eingang in unsere Arbeitswelt und Gesellschaft finden. Als Autor des Buches „Conciliatory Democracy“ plädiert er für einen anderen Umgang mit den politischen Meinungsverschiedenheiten, die unsere Zeit prägen. Darüber hinaus hat er zahlreiche wissenschaftliche philosophische Aufsätze verfasst.


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By The School of Life

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