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Was ist Bauchgefühl – und wie lernen wir, es zu nutzen?

Ein besonders interessanter Aspekt unserer Psyche ist die Existenz dessen, was wir umgangssprachlich als „Bauchgefühl“ bezeichnen. Diese Eigenschaft versieht uns mit einem Gefühl dafür, wie die Dinge sind – losgelöst davon, zu welcher Einschätzung wir mit bewussten Denkprozessen gelangen.

Unser Bauchgefühl kann uns beispielsweise das starke Gefühl vermitteln, dass eine bestimmte Person sehr gut zu uns passt – oder dass sie eindeutig nicht zu uns passt. Unser Bauchgefühl kann eine Meinung dazu haben, welchen Beruf wir ausüben sollten, welches Haus wir kaufen sollten oder ob wir jemandem eine Frage stellen sollten oder nicht.

Was diese Intuition auszeichnet, ist gerade die Tatsache, dass es sich um eine Intuition handelt – im Gegensatz zu einer Überlegung, deren Prämissen wir untersuchen, hinterfragen oder jemand anderem begründen können. Wir können unsere Bauchgefühle nicht erklären; wir wissen nicht, warum wir so fühlen, wie wir fühlen – wir sind einfach, vage, aber dennoch fest davon überzeugt, dass es so ist.


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Es kann verlockend sein, diese stumme und mysteriöse Perspektive zu ignorieren. Wir sind es nicht gewohnt, uns Kräften zu unterwerfen, die wir nicht verstehen und die sich nicht mit Worten erklären lassen.

Und doch stellen wir nach einer gewissen Zeit auf diesem Planeten vielleicht fest, dass wir oft genug Situationen erlebt haben, in denen wir unser Bauchgefühl ignoriert und dafür einen hohen Preis bezahlt haben. Nach dem Ende einer Beziehung oder dem Scheitern eines Geschäftsvorhabens sagen wir uns vielleicht reumütig: „Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen …“ Ein Teil von uns, dem wir nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt haben, scheint von Anfang an gewusst zu haben, dass es ein Problem gab. Unsere Vernunft hat die Oberhand gewonnen – und wir mussten dafür leiden.

Was ist also dieses Bauchgefühl? Wir könnten es als eine Schlussfolgerung definieren, die aus einer angehäuften Weisheit hervorgeht, die in uns steckt, aber für uns nicht bewusst zugänglich ist.

Das Bauchgefühl legt mehr Wert auf die Antwort als auf den Weg dorthin.

Dutzende, ja sogar Hunderte von winzigen Details werden blitzschnell wahrgenommen und von einem Teil unseres Verstandes verarbeitet, zu dem wir ebenso wenig Zugang haben wie zu dem Teil von uns, der weiß, wie man geht, Fahrrad fährt oder das Plusquamperfekt verwendet.

Er liefert eine Antwort, lange bevor unser Bewusstsein – ein langsames, schwerfälliges Instrument – in der Lage ist, zu sagen, warum. Das Bauchgefühl ist ein Teil unseres brillanten Verstandes, der so schnell arbeitet (normalerweise als Reaktion auf einen dringenden Bedarf an Antworten), dass wir – also der bewusste Teil von uns selbst –keinen Einblick in die Schritte erhalten, die unternommen wurden, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Das Bauchgefühl legt mehr Wert auf die Antwort als auf den Weg dorthin. Wir können schlau sein, auf Kosten der Unfähigkeit, zu erklären, wie uns das gelungen ist.

Wenn unser Bauchgefühl häufig unserer bewussten Logik überlegen ist, dann deshalb, weil es bestimmte Denkfehler zu umgehen scheint, die uns in die Irre führen können.

Der Verstand neigt dazu, naiv auf andere Menschen zu reagieren. Er geht davon aus, dass jemand, der sich selbst als Freund*in oder Partner*in bezeichnet, von Natur aus gut ist. Unser Bauchgefühl kann sich einer komplexeren und düstereren Wahrheit bewusst sein: Selbst in intimen Situationen kann es zu Verrat kommen.

Unser Verstand neigt auch dazu, zu sehr von dem auszugehen, wie die Dinge sein sollten: dass Eltern gütig sind, dass Kinder loyal sind, dass Partner*innen nicht stehlen. Er ist darauf bedacht, die Welt für so vernünftig und gesund zu halten, wie er sie sich wünscht.

Das Bauchgefühl ist weniger darauf bedacht. Es interessiert sich weniger für sogenannte Versunkene Kosten: Es beharrt nicht darauf, dass ein bestimmter Job schon ganz okay für uns ist, nur weil wir acht Jahre lang dafür ausgebildet wurden.

Das Bauchgefühl kann angemessen ehrgeizig sein. Es verlangt nicht, dass wir uns klein machen, um das Ego anderer zu befrieden. Es kann uns dazu auffordern, Chancen zu ergreifen, vor denen unser Verstand zurückschreckt.

Das Bauchgefühl reagiert auf kleine Hinweise. Es weiß, dass große Wahrheiten in scheinbar unbedeutenden Details zu uns gelangen können, dass eine zentrale Tatsache über jemanden in der Art und Weise, wie sich seine oder ihre Augen bewegen oder was die Person mit den Händen macht, zum Ausdruck kommen kann.

Es hört nicht nur auf das, was jemand sagt, sondern achtet auch sehr aufmerksam auf Körperhaltung, Geruch, die Art, wie jemand seufzt – Details, die der rationale Verstand zu Unrecht als „unbedeutend” und als unzuverlässige Grundlage für wichtige Entscheidungen abtut.

Das Bauchgefühl scheint darauf ausgerichtet zu sein, Unstimmigkeiten zu bemerken. Es achtet nicht auf große Aussagen („Ich liebe dich …“). Es nimmt fast unbedeutende Auslassungen aus dem Gesamtkontext wahr (wie lange jemand braucht, um zurückzuschreiben, wie die Person reagiert hat, als das Taxi Verspätung hatte …). Vor allem aber kann das Bauchgefühl fast augenblicklich reagieren, weil es keine Beweise im üblichen Sinne benötigt und nicht mit Argumenten arbeiten muss.

Es kann dem Bewusstsein Tage, Wochen oder Jahre voraus sein. Es fördert Erkenntnisse zutage, die wir längst vergessen hatten; es greift auf die Erfahrungen unseres gesamten Lebens zurück, während der Verstand nur die winzige Datenmenge im Blick behalten kann, die er für eine Prüfung benötigen würde. Es weiß es, bevor wir es wissen. Es kann nur nicht sagen, warum.

Ein Teil unseres Problems mit unserem Bauchgefühl besteht darin, dass es als Entscheidungshilfe wenig Ansehen genießt. Infolgedessen nehmen wir uns nicht genügend Zeit, um darauf zu hören, und wissen genaugenommen nicht einmal, wie wir das tun würden.

Um darauf zuzugreifen, bedarf es einer etwas künstlichen Vorgehensweise, die sowohl simpel als auch leicht mystisch klingen kann. Wir müssen unsere gewöhnlichen Aktivitäten unterbrechen, die Außenwelt zur Ruhe bringen und uns eine einfach klingende Frage stellen: Was spüre ich, dass hier wirklich vor sich geht? Was sagt mir mein Bauchgefühl?

Und überraschenderweise wartet fast immer eine Antwort auf uns: Verlasse ihn*sie. Oder: Verlasse ihn*sie nicht. Vertraue oder vertraue nicht. Sei geduldig oder du hast lange genug gewartet. Ein Teil von uns hat bereits den Weg vorgezeichnet, den wir einschlagen müssen, bevor der Rest von uns es tut.

Unser Bauchgefühl liegt nicht immer richtig

Das alles soll keineswegs heißen, dass unser Bauchgefühl immer richtig ist, dass es uns mit einer unfehlbaren Reihe von Wahrheiten versorgt.

Das wäre genauso falsch wie sich ausschließlich auf unseren Verstand zu verlassen. Wir müssen zugeben, dass es Fälle gibt, in denen unser Bauchgefühl auch falsch liegt (nein, sie waren nicht gut für uns; nein, wir hätten die Beziehung nicht beenden sollen; nein, das Haus war nicht richtig für uns usw.).

Letztendlich kann es genauso töricht sein, immer auf unser Bauchgefühl zu hören, wie es nie zu beachten. Wir sollten es als eine Art zusätzliche Intelligenz betrachten, die wir häufiger konsultieren, aber niemals vollständig vertrauen sollten. Wenn Dilemmata besonders intensiv werden, sollten wir lernen, beide Formen von Verstand – das Bauchgefühl und die Vernunft – einzusetzen, um uns die besten Chancen zu geben, zu den komplexen und schwer fassbaren Wahrheiten zu gelangen, nach denen wir leben sollten.


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By The School of Life

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