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Wie wir freier werden

Wie wir freier werden

Dass unser Leben als Erwachsene häufig grauer und trauriger ist als nötig, hat mit dem Gehorsam zu tun, der uns in unseren frühesten Jahren anerzogen wurde. Die Kindheit bringt bekanntlich eine ganze Reihe Pflichten mit sich, und wir sind klein und außerstande, die Autorität derer, die uns all die unangenehmen Dinge abverlangen, in Frage zu stellen.

Damals hat sich niemand je danach erkundigt, ob wir wirklich etwas über die Schenkel und Winkel eines Dreiecks erfahren wollen und darüber, was genau ein Mitochondrium ist. Aber wir fügten uns und opferten unsere Tage, Abende und Wochenenden einer Agenda, die Leute für uns ausgearbeitet hatten, deren Interesse an unserem Glück bestenfalls abstrakt war. So setzten wir uns an den Schreibtisch, studierten den Plot von Faust oder die chemischen Eigenschaften von Helium und waren überzeugt, dass unsere Langeweile und Abneigung unangemessen und falsch waren.

Später übertragen wir diese Haltung auf unseren Umgang mit der Welt. Wir entscheiden uns für eine Karriere vor allem deshalb, weil andere meinen, sie sei genau das Richtige für uns. Unseren eigenen Wünschen dagegen messen wir wenig Bedeutung zu. Fragt man uns auf einer Party „Und was machst du so?“, versuchen wir eine Antwort zu geben, die möglichst wenig Irritation erregt. Vielleicht beeindrucken wir unser Gegenüber sogar.

WIR GLAUBEN, FREIHEIT SEI ETWAS FÜR SAMSTAGE ODER FÜR DIE RENTE

Wir lernen, dass Freiheit zwar reizvoll, aber auch irgendwie exotisch ist. Frei werden wir nur sein – so fühlt es sich an –, wenn wir nichts haben, womit wir unsere Zeit füllen müssen. An einem Samstagmorgen zum Beispiel. Oder wenn wir in Rente sind.


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Wir passen uns an und behelfen uns in unserem Frust mit Rationalisierungen. So sagen wir uns zum Beispiel, dass wir letztlich keine Wahl haben. Wir müssen in dem Job bleiben, den wir ablehnen; wir müssen an der Ehe festhalten, die fad geworden ist, denn wir brauchen nun mal das Geld und wollen niemanden enttäuschen. Und überhaupt: Macht das nicht jeder so? Geradezu genial sind wir darin, Ausreden zu erfinden, die unser Unglück normal und notwendig erscheinen lassen.

Donald Winnicott, der britische Psychoanalytiker, empfing Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts viele erfolgreiche, gesellschaftlich anerkannte Patient*innen, die sich in akuter Not befanden, weil sie, wie Winnicott es nannte, „zu gut“ waren. Ihre frühesten Bezugspersonen hatten jeden Ausdruck authentischer Gefühle als bedrohliche Auflehnung empfunden und sofort unterbunden. Darum war es den Patienten nicht gelungen, die innere Freiheit und Sicherheit zu entwickeln, nein zu sagen.

Für die psychische Gesundheit empfiehlt Winnicott, gegenzusteuern und sich der Tendenz zu widersetzen, schnell und naiv fremde Ansprüche über die eigenen zu stellen – und zwar auch in den Fällen, wenn die anderen uns versichern, dass wir ihnen sehr wichtig sind.

Auf gesunde Weise „böse“ zu sein, meint für Winnicott nicht, sich aggressiv zu verhalten oder Gesetze zu brechen. Es bedeutet, die innere Freiheit zu besitzen, Dinge zu tun, die andere vielleicht beunruhigend finden, unser authentisches Ich aber entdecken und erkunden will. Begründet ist diese Freiheit in dem profunden Wissen, dass nur wir selbst über unser Leben wachen können, weil das, was andere für akzeptabel und richtig halten, nicht der tiefen Kenntnis unserer wahren Bedürfnisse entstammt.

FREIHEIT BEDEUTET, KEINE FREMDEN ERWARTUNGEN ERFÜLLEN ZU MÜSSEN

Wir neigen dazu, uns für frei zu halten, wenn wir nicht arbeiten müssen oder auf Reisen gehen können. Aber genauer besehen bedeutet Freiheit in Warheit, keine fremden Erwartungen erfüllen zu müssen. Darum ist es sehr gut möglich, hart zu arbeiten oder Urlaub zu Hause machen und sich trotzdem frei zu fühlen. Worauf es ankommt, ist unsere Bereitschaft andere zu enttäuschen, zu irritieren und zu verärgern. Wir genießen das nicht unbedingt. Mag sein, dass es in unserer Natur liegt, mit so vielen Menschen wie möglich gut auszukommen. Aber wir können damit leben, dass unsere Entscheidungen nicht immer auf Zustimmung treffen. Auf einer Party riskieren wir, dass jemand völlig unbeeindruckt ist von dem, was wir tun, dass er oder sie unsere Lebensweise verquer findet oder unsere Meinungen komisch. Aber das macht uns nicht allzu viel aus, weil wir frei geworden sind. Wir haben die Vorstellung davon, worum es in unserem Leben geht, von den Erwartungen anderer gelöst.

Frei zu sein heißt letztlich, seinen eigenen Erwartungen zu gehorchen – so anstrengend und ermüdend das auch mitunter sein mag.


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By The School of Life

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