Zurück zur Übersicht
Wie man die innere Stimme ändert

Wie man die innere Stimme ändert

Man könnte nun denken, es sei das Beste, sich selbst überhaupt nicht zu beurteilen, sondern sich einfach nur selbst zu unterstützen und zu lieben. Aber eine gute innere Stimme ist wie ein wahrhaft fairer Richter (und genauso wichtig), jemand, der Gut von Böse unterscheidet, aber dabei gnädig und gerecht ist, der ein genaues Verständnis davon hat, was uns geschieht, und uns bei unseren Schwierigkeiten helfen will. Wir sollten also nicht aufhören, uns selbst zu beurteilen, sondern sollten lernen, das Urteil gerecht ausfallen zu lassen.

Um unser inneres Urteilsvermögen zu verbessern, müssen wir lernen, bewusst und überlegt auf eine neue Art und Weise zu uns zu sprechen, uns also freundlicheren Stimmen auszusetzen. Wir brauchen konstruktive, zugeneigte Stimmen, die wir oft genug hören, um sie auch in schwierigen Situationen zu hören und sie als normal und natürlich wahrzunehmen. Diese Stimmen sollen zu unseren eigenen Gedanken werden.

Wie das gehen soll? Indem wir beispielsweise eine nette Stimme aus der Vergangenheit herholen und sie ausbauen. Die Stimme einer netten Oma oder Tante etwa, die zu uns stand und uns verbal immer tatkräftig unterstützte. In Situationen, wo sich die Dinge nicht in unserem Sinne entwickeln, sollten wir uns zunächst einmal vorstellen, wie diese Person reagieren würde, wenn wir ihr davon erzählten. Und deren imaginäre tröstlichen Worte (die wir uns automatisch vorstellen können) sollten wir uns so lange vorsagen, bis wir sie verinnerlicht haben.

Eine andere Strategie für das Ändern der inneren Richterstimme besteht darin, zum imaginären Freund von uns selbst zu werden. Im freundschaftlichen Umgang wissen wir instinktiv, welche Strategien von Klugheit und Trost wir anwenden müssen – Strategien, die wir uns selbst direkt nie gönnen.

Es gibt drei wichtige Schritte, die ein guter Freund normalerweise unternehmen würde, und die uns als Vorlage dafür dienen können, wie wir mit uns selbst umgehen sollten: Zuallererst liebt ein guter Freund oder eine Freundin uns so, wie wir sind. Jeder Vorschlag von ihnen oder jeder Ehrgeiz, den er oder sie für uns entwickeln, basiert auf der Grundlage der Akzeptanz. Wenn solch eine Freundesstimme vorschlägt, dass man etwas auf diese oder jene Weise versuchen sollte, dann ist das weder ein Ultimatum noch eine Drohung. Was sie sagt heißt auf keinen Fall, dass man ihre Freundschaft verliert, wenn man nicht tut, was sie vorschlägt. Für diese innere Stimme ist man gut, so wie man ist, sie will sich eigentlich nur mit uns zusammentun, um gemeinsam mit uns ein Problem anzugehen, dessen Lösung ihrer Meinung nach von Vorteil für uns wäre.

Ohne uns schöntun zu wollen, weisen uns gute Freunde auch immer wieder darauf hin, was wir alles richtig machen. Für sie ist nichts falsch daran, hin und wieder ein Kompliment über das zu machen, was wir gut können.

Es ist wirklich ein Trauerspiel, wie schnell wir unsere eigenen Erfolge aus den Augen verlieren, wenn wir in Schwierigkeiten stecken. Doch gute Freunde vergessen das nicht so schnell. Sie können unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten anerkennen und uns immer noch im Licht unserer positiven Seiten sehen. Der gute Freund hat Mitgefühl. Wo wir versagen, und das geschieht immer mal wieder, da ist seine innere Stimme verständnisvoll und großzügig. Unser Versagen schließt uns nicht aus diesem Freundeskreis aus. Der gute Freund vertritt pragmatisch, dass Irren einfach menschlich ist.

Aus der Kindheit werden wir mit verschiedenen Tendenzen in unserem Charakter entlassen, die sich im Umgang mit den natürlicherweise nicht perfekten Eltern entwickelt haben. Diese angenommenen Verhaltensweisen sind aber im Erwachsenenleben oft nicht mehr angebracht. Wir können nichts für sie, denn wir haben sie uns ja nicht ausgesucht. Es waren damals einfach keine besseren Optionen zur Hand. Der gute Freund in uns weiß, dass Fehlleistungen im Leben nicht selten sind und verweist als Referenz auf ganz offensichtliche Fehlleistungen anderer überall in der Welt. Wir werden daran erinnert, dass unser Fall zwar einzigartig, doch der Tatbestand im Allgemeinen weit verbreitet ist. Jeder wird Opfer eigener Fehlleistungen, wir erfahren nur nichts davon.

Es ist jammerschade, dass wir generell zwar wissen, wie man sich als guter Freund anderen, selbst Fremden gegenüber verhält, dies aber oft nicht auf uns selbst anwenden können. Ein Hoffnungsschimmer ist jedoch, dass wir rein fachlich die Eignungen für freundschaftliche Zuwendung schon besitzen. Jetzt müssen wir nur noch lernen, sie auf die Person anzuwenden, die sie am dringendsten braucht, nämlich uns selbst.

Dieser Text ist ein Kapitel aus dem Buch von The School of Life “Selbsterkenntnis” erschienen im Verlag Süddeutsche Zeitung Edition. Preis 18 €. Das Buch ist erhältlich in unserem Shop in der Lychener Str. 7 in Berlin, bei SZ Edition und natürlich im Buchhandel.

By The School of Life

Diesen Artikel teilen

Verwandte Themen