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Wie man andere nicht langweilt

Wie man andere nicht langweilt

Eine unserer größten Befürchtungen ist es, langweilig zu wirken. Der Gedanke verfolgt uns, wenn wir in die Welt hinausgehen und mit anderen Menschen in Kontakt treten.

Aber die gute Nachricht lautet: Es gibt niemanden, der durch und durch langweilig ist – und das ist eine ganz grundlegende Wahrheit. Manche Menschen laufen nur Gefahr, so auf uns zu wirken, weil  sie ihr inneres Selbst nicht erkennen oder es nicht wagen (oder es nicht schaffen), es nach außen hin zu vermitteln.

Dass es so etwas wie eine von Natur aus langweilige Person oder Sache schlichtweg nicht gibt, ist eine der großen Lektionen der Kunst. Viele der überzeugendsten Kunstwerke zeigen keine erhabenen oder seltenen Motive, sondern das Alltägliche von einem künstlerischen Blickpunkt aus: mit ungewöhnlicher Ehrlichkeit und Offenheit gegenüber einer ungeschminkten Erfahrung. Nehmen wir zum Beispiel einige Gräser, die der dänische Künstler Christen Købke 1837 in der Umgebung von Kopenhagen gemalt hat. Auf den ersten Blick ist die Szene unscheinbar, und man  könnte zunächst meinen, dass das Motiv für ein Gemälde nicht besonders viel hergibt. Und doch wusste Købke, wie jeder große Künstler, wie man die eigene Wahrnehmung auf eine frische, ungetrübte, originäre Weise befragt, sie ganz sorgfältig in sein Medium überträgt und so ein kleines Meisterwerk aus alltäglichem Material schaffen kann.

So wie es kein langweiliges Flussufer, keinen langweiligen Baum und keinen langweiligen  Löwenzahn gibt, so wenig kann es einen grundsätzlich langweiligen Menschen geben. Das  eigentliche Wesen eines Menschen zu erleben, ehrlich und ohne Verkünstelung, ist immer interessant. Wenn wir jemanden als langweilig bezeichnen, verweist das nur darauf, dass diese Person nicht den Mut oder den notwendigen Fokus hatte, uns zu vermitteln, wie es ist, er oder sie zu sein. Im Gegensatz dazu erweisen wir uns immer wieder aufs Neue als unwiderstehlich, wenn wir es schaffen, zu vermitteln, was wir wahrhaft begehren, beneiden oder bedauern, worum wir trauern oder wovon wir träumen. Jeder, der das Wichtige in seinem Leben wahrhaft erfasst, hat garantiert Material, mit dem er andere in seinen Bann ziehen kann. Ein interessanter Mensch ist nicht der, dem interessante äußere Dinge zugestoßen sind – nicht derjenige, der die Welt bereist und wichtige  würdenträger getroffen hat oder der bei wichtigen geopolitischen Ereignissen dabei gewesen ist. Es ist auch nicht derjenige, der in wohlgesetzten, eingeübten Worten über bedeutsame Themen aus Kultur, Geschichte oder Wissenschaft spricht. Es ist jemand, der sich zu einem aufmerksamen,  selbstkritischen Zuhörer entwickelt hat, zu einem zuverlässig ehrlichen Berichterstatter über die Erschütterungen seines eigenen Geistes und Herzens, und der uns auf dieser Basis authentisch davon erzählen kann, was das Leben an Pathos, Drama und Merkwürdigkeiten zu bieten hat.


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Was steht uns denn dann eigentlich im Weg – warum wirken wir nicht so interessant, wie wir es in Wirklichkeit sind?

Erstens, und das ist das Wichtigste, langweilen wir andere, wenn wir nicht mehr daran glauben, dass es unsere echten Gefühle sind, die andere Menschen am meisten interessieren. Aus Bescheidenheit und Gewohnheit verdrängen wir wichtige eigene Auffassungen, um respektablen, aber schon längst überkommenen Konventionen zu folgen, die einst festlegten, wie man andere beeindrucken könnte. Wenn wir eine Anekdote erzählen, beschränken wir uns auf die äußeren Umstände – Wer war dabei? Wann sind wir gegangen? Wie war das Wetter? –, statt uns treu zu sein und von den tieferen Gefühlen zu erzählen, die sich hinter den Fakten verbergen: der Augenblick voller Schuldgefühle, die plötzliche sexuelle Anziehungskraft, der beschämende Missmut, die Krise in unserer Karriere, die merkwürdige Euphorie um drei Uhr früh.

Die Vernachlässigung unserer eigenen Gefühle ist nicht einfach ein Versehen; es kann sich hier durchaus um eine bewusste Strategie handeln, um nicht Dinge hochkommen zu lassen, die unseren Vorstellungen von Würde und Normalität widerstreben. Wir schwafeln der Welt etwas Bedeutungsloses vor, weil uns der Mut fehlt, uns genauer und ohne zurückzuschrecken in unserem eigenen Inneren umzuschauen.

[…]

Zum Glück ist die Gabe, interessant zu sein, weder einzigartig noch braucht man dazu außergewöhnliches Talent. Man braucht nur Anleitung, Ehrlichkeit und ein Ziel. Im Wesentlichen finden wir einen Menschen interessant, der für das aufgeschlossen ist, was wir uns alle vom gesellschaftlichen Miteinander so sehr wünschen: einen unzensierten Blick auf diesen kurzen Wachtraum namens Leben, betrachtet aus dem Blickwinkel eines anderen Menschen – und die Bestätigung, dass wir nicht vollkommen allein sind mit dem, was sich auf verwirrende, befremdliche und sehr emotionale Weise in uns abspielt.

Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus dem Buch “Freundlichkeit – eine vergessene Tugend”, erschienen bei Süddeutsche Zeitung -Edition. Preis: 16€ inkl. MwSt. Zu kaufen bei The School of Life, Lychener Str. 7, 10437 Berlin oder online hier.


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