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Warum wir lernen sollten, egoistischer zu sein

Warum wir lernen sollten, egoistischer zu sein

Von früher Kindheit an bringt man uns bei, dass Egoismus unmoralisch sei. Statt unsere selbstsüchtigen Ziele zu verfolgen, sollen wir lernen, auf andere Leute zu achten und ihre Perspektive einzunehmen. Gut zu sein, so die Prämisse, bedeutet im Kern, andere in den Mittelpunkt unseres eigenen Lebens zu stellen.

Manche von uns sind allerdings gar nicht besonders selbstsüchtig, nehmen sich den Ratschlag aber trotzdem sehr zu Herzen. Damit laufen wir Gefahr, genau das Gegenteil zu tun: Wir übergehen unsere eigenen Wünsche, strecken, wenn wir mit jemandem konkurrieren, ganz automatisch die Waffen und üben Bescheidenheit bis zur Selbstauslöschung. Wie haben größte Scheu, uns vorzudrängen und sind unfähig, nein zu sagen und andere zu frustrieren.

Unser Talent zur Selbstlosigkeit füllt unsere Terminkalender mit Verpflichtungen gegenüber Leuten, die uns langweilen und auslaugen. Wir kleben an Jobs, in denen unsere wahren Fähigkeiten nicht zum Zuge kommen, und halten viel zu lange an Menschen fest, die uns täuschen, nerven und auf raffinierte, vielleicht besonders liebenswürdige Weise unablässig betrügen.

Und eines Morgens wachen wir auf und stellen fest, dass der größte Teil unseres Lebens bereits hinter uns liegt und die besten Jahre vorbei sind und niemand besonders dankbar ist für unsere Opfer. Wir ahnen, dass es auch im Himmel keine Belohnung geben wird für unsere Entsagungen. Und sind zornig auf uns selbst und darauf, wie lammfromm wir Selbstaufgabe mit Nächstenliebe verwechselt haben.

Uns wurde nie beigebracht, zwischen „schlechtem“ und „gutem“ Egoismus zu unterscheiden.

Vorrang hat dann, den in uns schlummernden Egoismus wieder aufzuwecken. Schon das Wort „Egoismus“ flößt uns vielleicht Angst ein, weil man uns nicht beigebracht hat, zwischen „schlechtem“ und „gutem“ Egoismus zu unterscheiden. Zwischen einem bösartigen Egoismus also, der andere ausbeutet, klein macht, in boshafter, fahrlässiger Weise missachtet und ohne höheres Ziel operiert. Und der anderen Spielart des Egoismus, die wir immer dann brauchen, wenn wir Bedeutendes erreichen wollen: Ein gesunder Egoismus, der uns ermutigt, den eigenen Anliegen den Vorzug zu geben vor all dem Strandgut, das der Alltag anschwemmt. Der uns ermuntert, unsere Interessen unverblümter gegenüber jenen zu verteidigen, die behaupten, uns zu lieben. Und der uns dazu verleiten sollte, Nörgeleien und Forderungen bewusst zu überhören – nicht, um anderen zu schaden, sondern um mit unseren Ressourcen zu haushalten und der Welt dann Gutes tun zu können, wenn es wirklich drauf ankommt.

Mit einer zuträglicheren Egoismus-Philosophie im Kopf könnten wir darum kämpfen, jeden Tag eine Stunde für uns selbst zu haben. Wir könnten etwas tun, das andere vielleicht maßlos finden (etwa drei mal pro Woche in Psychotherapie gehen oder ein Buch schreiben), das aber für unsere Seele überlebenswichtig ist. Wir könnten allein verreisen, um in Ruhe zu verarbeiten, was in letzter Zeit passiert ist. Wir wüssten, dass wir erst dann gut zu anderen sein können, wenn unsere eigenen Bedürfnisse gestillt sind. Fehlt uns diese gesunde Portion Egoismus, verwandeln wir uns womöglich auf schnellstem Wege in nutzlose, bittere und letztlich sehr unangenehme Leute.


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Ein wertvoller Wegweiser kann hier die Philosophie des Hinduismus sein. Sie unterteilt unser Leben in vier Stadien, die mit unterschiedlichen Rollen und Verantwortungen verknüpft sind. Das erste Stadium ist das des Studierens (Brahmacharya), das zweite das des Haushaltens und der Elternschaft (Grihastha). Das dritte gehört den Großeltern und jenen, die auf dem Weg in den Ruhestand sind (Vanaprashta). Besonders interessant ist in unserem Kontext aber das vierte Lebensalter, bekanntgeworden als Sannyasa.

Jahrelang haben wir anderen Menschen, der Arbeit, Familie und Gesellschaft gedient. In Sannyasa werfen wir endlich unsere weltlichen Verpflichtungen ab und widmen uns der Entwicklung unserer Seele. Vielleicht verkaufen wir unser Haus, gehen auf Reisen, wandern durch die Welt und lernen, mit Fremden zu sprechen, die Augen offen zu halten und unseren Geist zu füttern. In Sannyasa leben wir in aller Einfachheit (vielleicht am Strand oder am Fuß eines Berges); wir ernähren uns simpel und besitzen wenig. Und wir lösen uns von allen, die nichts mit Spiritualität am Hut haben – also von den Ehrgeizigen, den Gehetzten und den Eiligen und all jenen, die sich nicht ausgiebig der Frage widmen, was es bedeutet, am Leben zu sein.

Es gibt Zeiten, in denen wir vor allem lernen müssen, “genug!” zu sagen.

Erkenntnisreich ist diese Aufteilung der Existenz, weil sie anerkannt, dass nicht jeder zu allen Zeiten wie ein Sannyasin leben kann. Zugleich legt sie aber auch nahe, dass ein gutes Leben ohne Sannyasa niemals vollkommen sein kann. In manchen Jahren müssen wir uns einfach hinsetzen und studieren, in anderen bringen wir Kinder zur Welt und verdienen Geld. Aber es gibt auch ebenso wichtige Jahre, in denen wir vor allem “genug!” sagen müssen. “Genug” zu Materialismus und Oberflächlichkeit, genug zu sexuellen und romantischen Verstrickungen, genug zu Status und Geselligkeit – und stattdessen lernen, unseren Geist nach innen zu richten.

Auch ohne die orangefarbene Robe der Sannyasin oder andere sichtbare Zeichen unserer Neuorientierung steht es uns allen offen, diese psychologischen Wende zu vollziehen, hin zu mehr Selbstbezogenheit und Innerlichkeit. Dabei werden wir den Menschen um uns herum kaum vermitteln können, dass wir weder faul, noch sauer oder gefühllos sind. Vermeiden wir von nun an einfach eine Weile lang, zu tun, was von uns erwartet wird. So folgen wir unserer wahren Verheißung, indem wir eine Vorstellung fallen lassen, die weise wirkt, ohne es wirklich zu sein: andere Menschen grundsätzlich an die erste Stelle zu setzen.


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By The School of Life

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