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Die schönen Seiten eines Beziehungsstreits

Die schönen Seiten eines Beziehungsstreits

Während es andauerte, fühlte es sich wirklich entsetzlich an. Du hast ein paar schlimme Dinge gesagt – aber ich habe dich ja auch dermaßen in die Enge getrieben! Du hast eine Tür zugeknallt – ich habe rumgebrüllt. Du warst stinksauer, aber ich war auch stinksauer auf mich selbst. Einerseits habe ich mich geschämt, und doch war ich sicher, dass nichts davon meine Schuld war. Ich wollte dich unbedingt dazu bringen, meinen Standpunkt zu begreifen und bin stur und eiskalt geworden. Ich würde jetzt auf keinen Fall nachgeben. Warum sollte ich mich entschuldigen – du bist doch die Person, die sagen müsste, dass es ihr leidtut! Eigentlich sollte ich mich entschuldigen, aber das wird dich nur dazu bringen, dich im Recht zu fühlen – und das bist du nun mal nicht! Vielleicht ist das jetzt das Ende – vielleicht passen wir einfach nicht zusammen. Der herkömmliche Traum einer idealen Beziehung basiert auf Harmonie. Auseinandersetzungen dagegen decken Probleme auf und das Ideal der Zweisamkeit bekommt tiefe Risse. Aber im Nachspiel – wenn man sich erst wieder abgeregt hat – kommen die schönen Aspekte eines Streits zum Vorschein.

Ein Trostpflaster ist die Erkenntnis, dass man solch schlimme Dinge nur jemandem an den Kopf werfen kann, dem man wirklich nahesteht. Die Fähigkeit, sich seinem Partner oder Partnerin gegenüber scheußlich zu benehmen, ist zwar ein befremdliches, aber authentisches Zeichen von Liebe. Eine Beziehung muss auch die verrückteren, unvernünftigeren Anteile von uns zulassen. Wenn ich bei dir unverkennbar wütend werden kann, dann weil ich mich bei dir sicher genug fühle, so zu sein. In der Arbeit würde ich niemals eine Tür zuknallen, und ich würde niemals einer Kollegin oder einem Kollegen ins Gesicht sagen, dass ich sie für eine blöde Kuh oder für einen dummen Esel halte.

Das heißt natürlich nicht, dass man seine Kolleg*innen lieber hätte als seine*n Partner*in! Es liegt daran, dass die beruflichen Beziehungen sehr viel mit Repression und Angst zu tun haben – schließlich könnte man seine Arbeit verlieren oder im Büro Außenseiter*in werden. Es ist wirklich paradox: man ist seinem Partner gegenüber gereizt und manchmal gemein, aber das liegt daran, dass man so viel Bestätigung von ihm oder ihr erfährt. Man lässt die Maske fallen und die schwierigen Teile von uns dürfen ans Licht kommen. Manchmal bekennt sich ein Paar in der Öffentlichkeit zueinander und gelobt, dass es zusammen durch dick und dünn gehen will – und dann passieren die schlimmen, zutiefst verletzenden Streitereien. Der Instinkt sagt uns dann, wir hätten einen furchtbaren Fehler gemacht, als wir uns zusammengetan haben. Aber die klügere Erklärung dafür, dass wir so aus der Fassung geraten sind, ist seltsamerweise positiv. Es liegt auch eine gewisse Befriedigung darin, dass ein reinigendes Gewitter stattgefunden hat. Sie beide haben – zugegeben, auf ziemlich schroffe Art – einige Dinge ausgesprochen, die im Dunklen vor sich hin schwelten. Es war emotional ganz schön anstrengend, das alles anzusprechen. Aber jetzt liegen die Karten auf dem Tisch. Möglicherweise können wir die Problematik jetzt angemessener und mit etwas mehr gesundem Menschenverstand betrachten. Letztlich ist es erleichternd, sich ein schwieriges Problem so richtig anzusehen. Manchmal ist ein Krach tatsächlich ein ziemlich turbulenter Übergang zu einer tief empfundenen Versöhnung. Es war für uns beide wichtig, dass wir uns gegenseitig diese schwierigen, schmerzhaften und verletzenden Dinge an den Kopf werfen konnten.

Indem die Konflikte eine Weile lang im Vordergrund standen, haben Sie unbeabsichtigt schon die Bedingungen dafür geschaffen, dass wir uns an die sehr viel größeren Bereiche zu erinnern, in denen wir beide übereinstimmen und uns nahe sind. Uns ist jetzt wieder klar, dass unser Gegenüber ansonsten ein wunderbarer Mensch ist, und der Konflikt beschäftigt uns nur noch am Rande. Dann gibt es da vielleicht noch andere kleine Freuden: zum Beispiel, wenn man vergibt oder einem vergeben wird. Wir vergessen nicht einfach alles. Was wir gesagt und getan haben, ist noch immer lebendig, aber wir betrachten es jetzt in einem größeren Zusammenhang, mit mehr Güte und weniger Angst. Vergebung erwächst zum Großteil aus der Erkenntnis, wie Stress, Ärger und Furcht das Verhalten des Gegenübers prägen. Ich habe mich dir gegenüber schlecht benommen, aber das hat möglicherweise nur sehr wenig mit dir zu tun; tatsächlich befeuern oft äußere Faktoren das Geschrei, die Flüche, die abweisenden oder verachtenden Blicke. Einiges davon hat seine Ursache womöglich in einer Zeit, lange bevor du in mein Leben getreten bist. Du bist nur der unglückliche Blitzableiter, an dem ich meinen Ärger abreagiere.

Wir vergeben gerne, denn im besten Falle bedeutet es, dass wir besser verstehen, warum ein Mensch sich so aufregt – und dann fühlt man sich sehr viel weniger persönlich angegriffen. Ähnlich schön ist es, wenn einem vergeben wird, denn es bedeutet, dass die eigenen Probleme jetzt beim anderen auf mehr Verständnis stoßen. Im Endeffekt sagen wir zueinander: Ich weiß jetzt wieder, wie schwierig es ist, in deiner Haut zu stecken, und deshalb kränkt mich dein Verhalten jetzt auch sehr viel weniger.

Besonders komplizierte Meinungsverschiedenheiten bringen so große Gegensätze ans Licht, dass sie unter Umständen tatsächlich nicht gelöst werden können. So haben wir zum Beispiel vielleicht gedacht, wir beide könnten zusammen einen Betrieb führen, aber im Laufe einiger verletzender Auseinandersetzungen sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass das einfach nicht funktionieren kann. Oder wir haben am Wochenende gewöhnlich die Eltern von einem von uns besucht, aber daraus ergeben sich ungeheure Konflikte. Oder es stören mich ein paar sexuelle Aspekte, die dir wichtig sind.

Mit einem Krach fertigzuwerden bedeutet, allmählich zu begreifen, dass man mit einem Problem zurechtkommen kann, auch wenn man es nicht direkt lösen kann. Wir geben den Versuch auf, in diesem speziellen Bereich unbedingt übereinzustimmen. Das ist nun leider nicht das, was wir beide uns gewünscht haben, aber wir kommen damit klar. Das Wesen unserer Beziehung verändert sich leicht. Von jetzt an gehen wir vielleicht nicht mehr zusammen einkaufen, und bei Familienzusammentreffen wird es künftig nur noch Solo-Auftritte geben. Die Schwiegereltern werden das merkwürdig finden, aber auch das werden wir überleben. Wir werden ganz einfach die Grenzen unseres gemeinsamen Lebens ein wenig verschieben. Konflikte sind mehr oder weniger unvermeidlich, wenn man mit einem anderen Menschen in enger Gemeinschaft lebt und in gemeinsame Verpflichtungen eingebunden ist. Aber jetzt ist zwischen uns alles wieder in Ordnung – bis zum nächsten Mal.

By The School of Life

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