
08/22/2025
emotionale Reife
Warum wir unser klärendes Gespräch nie bekommen werden
Wenn wir in Beziehungen stark gelitten haben (womit hier vor allem Beziehungen zu unseren Eltern und Partner*innen gemeint sind), wird es irgendwann zu einer unserer größten Sehnsüchte, das zu bekommen, was wir als „Klärung“ oder „Abschluss“ bezeichnen können. Uns ist vielleicht nicht immer bewusst, warum so ein Abschluss wichtig ist, aber wir spüren sein Fehlen sehr deutlich.
In unserer Fantasie stellen wir uns vor, dass wir uns lange nach bestimmten Verletzungen mit einem Elternteil oder einem*einer Ex-Partner*in zusammensetzen. Seit den schwierigen Zeiten sind vielleicht Monate oder Jahrzehnte vergangen. In vielerlei Hinsicht haben wir uns weiterentwickelt. Vielleicht haben wir jetzt einen gut bezahlten und hoch angesehenen Job. Vielleicht sind wir in einen liebevollen und attraktiven neuen Partner oder Partnerin verliebt, mit dem*der wir eine Familie gründen wollen. Dennoch fühlt sich etwas in uns weiterhin verantwortlich für eine frühere Version von uns selbst: ein kleines Kind, das schlecht behandelt wurde, das wiederholt angeschrien wurde, gedemütigt und verspottet wurde.
Oder aber für eine liebevolle Seite von uns, die die Demütigung ertragen musste, betrogen zu werden, die zusehen musste, wie ihr damals geliebte*r Partner*in sich ausweichend und geheimnisvoll zurückzog; unser damaliges Selbst, das eine Reihe langer Briefe schrieb, die unbeantwortet blieben.
Deshalb haben wir ein Treffen mit einem mittlerweile betagten Elternteil vereinbart, das vielleicht mit einem Gehstock erscheint – oder einen Tee mit dem*der Ex, der oder die uns in einem neuen Outfit herzlich begrüßt. In der Fantasie könnte unser Gespräch etwa so aussehen: „Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass du meine Schwester bevorzugt hast; nichts, was ich tat, war richtig. Warum wurde in unserer Familie mit zweierlei Maß gemessen? Warum galten für sie andere Regeln als für mich? …“
The School of Life
Unser Programm für Dein berufliches Wachstum
Unsere Workshops zur beruflichen Weiterbildung statten Dich mit den wichtigsten Fähigkeiten aus, um Deine Potenziale in der Arbeit zu entfalten. Unsere hilfreichen und transformativen Formate helfen Dir, erfüllt, authentisch und erfolgreich zu arbeiten. Wirf jetzt einen Blick in unser gesamtes Programm!

Erfolgsfaktor Vertrauen: Psychologische Sicherheit und Vertrauenskultur stärken

New Leadership: Führung für eine neue Arbeitswelt

Führen in unsicheren Zeiten: Resilienz, Klarheit und Empowerment schaffen
Und der Elternteil, der tief darüber nachgedacht hat, der stundenlang über seine Rolle reflektiert hat, der sich danach sehnt, Wiedergutmachung zu leisten, wird sagen: „Liebling, ich weiß, wie sehr dich das verletzt hat. Ich habe in den letzten Jahren so sehr versucht, es wieder gut zu machen. Ich weiß, wie wütend du immer noch auf mich bist. Mir ist vor allem wichtig, dir zu sagen, wie sehr ich dich liebe und wie leid es mir tut, dass ich dir so wehgetan habe …“ Vielleicht bekommen wir auch eine Erklärung für die Hintergründe des grausamen Verhaltens. Unsere Eltern haben sich so verhalten, weil sie selbst eine schwierige Beziehung zu ihrer Mutter hatten. Sie wissen, warum sie unvollkommen waren. Sie übernehmen Verantwortung. Sie verstehen sich selbst. Sie sind zutiefst traurig über all das.
Oder wir phantasieren, dass unser*e Ex-Partner*in plötzlich mit einer Fülle von Einsichten auftaucht. Er oder sie hat eine Therapie gemacht und ist deutlich vorangekommen. Die Monate seit der Trennung hat die andere Person genutzt, um die Puzzleteile zusammenzusetzen: „Ich habe mich nicht getraut zu sagen, dass ich einen Neustart brauche. Ich war dir dankbar, fühlte mich aber auch so schuldig. Daraus entstand die Affäre. Das ist nicht zu entschuldigen – du hast jedes Recht, wütend auf mich zu sein …“
Doch auch wenn es solche ergreifenden Momente hin und wieder geben mag – also wenn sich in der Geschichte unseres Planeten zweifellos solche Gespräche an Pyramiden und Wasserfällen, in Tempelgärten und Säulengängen zugetragen haben müssen –, können wir mit Zuversicht und Gelassenheit behaupten, dass sie immer die Ausnahme waren.
Weitaus häufiger sind fortwährende Verwirrung und Unklarheit
Weitaus häufiger sind fortwährende Verwirrung und Unklarheit: Der Elternteil wird wütend: „Was meinst du damit? Warum kannst du nicht dankbarer sein? Du kannst immer nur jammern!“ Oder der*die Ex, der alles abstreitet oder sich in einen Gefühlsnebel flüchtet: „Tut mir leid, kann schon sein, weiß nicht mehr, ich kann gerade auch nicht klar denken. Ich muss los …“
Wir können daraus eine Erkenntnis gewinnen: Wenn sie so gestrickt waren, dass sie uns so sehr verletzen konnten, wie sie es getan haben, werden sie nicht die Mittel haben, uns so zu heilen, wie wir es uns erhoffen. Niemand, der einem fünfjährigen Kind so weh tun oder einen fürsorglichen Partner so schlecht behandeln kann, wird in der Lage sein, sich in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten zu ändern und alles wieder gut zu machen. In den meisten Fällen hat man die Fähigkeit zu Freundlichkeit und Reife – oder man hat sie nicht. Entweder neigt man zu Sadismus – oder man neigt nicht dazu.
Heilung an unerwarteten Orten finden
Das soll nicht heißen, dass wir aufhören sollten, nach einem Abschluss zu suchen, sondern nur, dass wir aufhören sollten, ihn bei genau den Menschen zu suchen, die ihn erforderlich gemacht haben. Wir müssen unsere Suche nur auf andere, hilfreichere Personen richten: auf kluge Therapeut*innen, auf liebevolle Freund*innen, auf neue Partner*innen und Ersatzeltern. Diese Menschen können uns Dinge erklären, unseren Schmerz in einen Kontext stellen und uns neue Hoffnung schenken. Wenn wir lernen, warum es wichtig ist, mit der Vergangenheit abzuschließen, beginnen wir auch zu verstehen, dass der Weg dafür selten zu den verwirrten, unreifen Menschen führt, die uns damals verletzt haben.