Blog – The School of Life

Sich der Verletzlichkeit hingeben

Wenn wir uns sehr ängstlich, traurig, besorgt oder einsam fühlen, erscheint es für viele von uns absurd, unsere Not mit anderen zu teilen; ein Geständnis könnte eine ohnehin schon schwierige Situation unerträglich machen. Wir nehmen an, dass unsere beste Chance, uns zu verteidigen und unsere Selbstbeherrschung wiederzuerlangen, darin besteht, überhaupt nichts zu sagen. Wenn wir also bei einem Treffen mit Freunden traurig sind, lächeln wir. Wenn wir vor einem Vortrag Angst haben, versuchen wir das Thema zu wechseln. Wenn wir gefragt werden, wie es uns geht, sagen wir, dass es uns sehr gut geht, danke. Wir wollen nicht absichtlich täuschen, sondern üben die einzige Taktik, die wir kennen und der wir vertrauen, um auf unsere Verletzlichkeit zu reagieren.

Was wir vor allem fürchten, ist die Verurteilung. Wir sind soziale Wesen, die im Laufe der Zeit gelernt haben, dass Akzeptanz mit Gelassenheit einhergeht. Wir nehmen an, dass nur eins von beiden funktioniert: erklären können, was wirklich in uns vor sich geht, oder unbeschadet davonkommen. In unseren Augen besteht der Preis für Sicherheit darin, ständig den Anschein von Contenance zu wahren.

Doch es könnte eine Alternative zu dieser strafenden und letztlich sehr isolierenden Philosophie geben: die Idee, dass wir in Momenten der Angst, der Traurigkeit, der Unruhe und der Einsamkeit, anstatt auf unser Wohlbefinden zu beharren, genau die entgegengesetzte Richtung einschlagen; preisgeben, dass es uns eigentlich nicht so gut geht, dass wir gerade ziemlich besorgt sind, dass es uns schwerfällt, mit Menschen zu sprechen oder an die Zukunft zu glauben; dass wir uns ängstlich fühlen und Gesellschaft brauchen.

Obwohl unsere Instinkte bei der Aussicht, solche Enthüllungen zu machen, stark alarmiert sein könnten, besteht die Chance, Überraschendes herauszufinden: dass wir uns sofort leichter und weniger bedrückt fühlen; dass unsere Verbindung zu den Menschen um uns herum sich erheblich vertieft, wenn wir mehr von dem Chaos unseres Innenlebens preisgeben – und, was am unerwartetsten ist, dass die Enthüllung unserer Verletzlichkeit uns in den Augen anderer eher stärker als schwächer erscheinen lässt.

Ein Teil unserer bedauerlichen Verschlossenheit entspringt der Vorstellung, dass alle Eingeständnisse von Angst, Traurigkeit, Sorge und Einsamkeit gleich sein müssen. Doch dabei übersehen wir einen entscheidenden Unterschied zwischen einer Offenbarung, die als dringende, verzweifelte Bitte um Rettung erscheint, und einer, die ein Problem würdevoll in trauriger, aber nüchterner Haltung präsentiert. Es ist ein Unterschied, ob man darum bettelt, nie wieder allein gelassen zu werden, und dem Geständnis, dass man seine Abende in letzter Zeit ziemlich ruhig verbracht hat. Es kann eine klare und verlässliche Grenze zwischen Bedürftigkeit und Verletzlichkeit geben.

Darüber hinaus ist eine solche Enthüllung nicht nur keine Bedrohung für unsere Würde, sondern kann sie sogar noch verstärken. So beeindruckend es oberflächlich betrachtet auch sein mag, niemals irgendeine Schwäche zu zeigen, so ist es doch viel beeindruckender, den Mut, die psychologische Einsicht und die Selbstdisziplin zu haben, über seine Schwächen in einem begrenzten Rahmen zu sprechen. Ein echter Erwachsener zeichnet sich dadurch aus, dass er in der Lage ist, mit einer Mischung aus Souveränität und Taktgefühl Aspekte seines kindlichen Ichs zu offenbaren: dass er eine schreckliche Zeit durchgemacht hat, dass er eigentlich gar nicht hier sein will oder dass er sich große Sorgen macht, wie ein Idiot dazustehen. Bei wahrer Härte geht es nicht darum, eine Fassade militärischer Robustheit aufrechtzuerhalten, sondern vielmehr darum, mit den regressiven, bedürftigen Anteilen der eigenen Person kunstvoll zu verhandeln und sie ohne Angst zu akzeptieren.

Die Fähigkeit, dieses Kunststück zu vollbringen, hängt von einem weiteren Stück Reife ab: dem Wissen, dass alle Menschen im Grunde genauso ängstlich, traurig, einsam und besorgt sind wie wir. Selbst wenn sie sich dazu entschließen, nichts davon preiszugeben, können wir uns darauf verlassen, dass sie dies nicht tun, weil sie grundsätzlich anders und robuster sind als wir, sondern weil auch sie Angst haben – und weil wir alle von einem Bild geprägt sind, was es bedeutet, ernsthafte Erwachsene zu sein, das es uns nicht erlaubt, ein gewisses Maß an unserer verletzlichen Realität zu teilen (und uns dadurch alle gemeinsam krank macht und von uns selbst und anderen entfremdet). Wir sollten akzeptieren, dass es ganz normal ist, einsam zu sein, obwohl jeder genug von den Freunden haben sollte, die er*sie braucht; und dass es ganz normal ist, krank vor Sorge zu sein, obwohl wir ein festes Vertrauen in die Zukunft haben sollten. Indem wir unsere Schwächen offenbaren, erkennen wir nicht irgendeine verrückte Option an, sondern beweisen, dass wir uns wie unsere Mitmenschen in einer wahren, aber bisher unnötig verborgenen Realität befanden; wir schlagen einen Salto über die sozialen Hindernisse und schaffen reichlich Raum, in dem sich auch andere eines Tages sicher genug fühlen können, um ihre Zerbrechlichkeit und Menschlichkeit zu zeigen.

Wir können uns unseren Ängsten weit mehr zuwenden, als uns lieb ist, ganz ohne sie als bedrohliche Feinde zu betrachten. Jedes Geständnis, das wir kompetent ablegen, lindert unsere Last. Anstatt die Welt als ein Wesen zu betrachten, das wir ständig beeindrucken müssen (und unsere Realität als etwas, das wir ständig verbergen müssen), können wir es wagen, uns vorzustellen, dass es anderen nichts ausmachen würde, wenn wir ein wenig mehr von unserem wahren Selbst zeigen würden – und dass es manchmal nichts Nobleres oder Beeindruckenderes gibt, das wir unseren Nachbarn anbieten könnten, als eine ruhige Offenbarung unserer Gefühle von Traurigkeit, Isolation, Sorgen und existenzieller Verzweiflung.