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Warum uns am anderen irgendwann genau das nervt, was wir anfangs bewundern

Warum uns am anderen irgendwann genau das nervt, was wir anfangs bewundern

Ein Grund, sich zu verlieben, ist die Erkenntnis, dass der*die andere etwas kann, was wir nicht können. Wir fühlen uns zu Menschen hingezogen, die kompetent und leichtfüßig sind bei Tätigkeiten, die uns schwerfallen. Vielleicht können sie gut organisieren, vielleicht sind sie kreativ, vielleicht hochsensibel – anders als wir. Insgeheim hoffen wir darum, uns im Zusammensein mit dem geliebten Menschen weiterzuentwickeln. Seine oder ihre Tugenden sollen uns verändern. Durch die andere Person werden wir selbstbewusster oder witziger, erledigen unseren Papierkram im Nu und analysieren souverän unser Innenleben. Mit der Liebe verbinden wir die angenehme Vorstellung, zu wachsen.

Doch genau dieses Entwicklungsversprechen nimmt im Laufe der Zeit Schaden. Was wir für Stärken hielten, entpuppt sich als überzogen und entmutigend. Die Selbstbeherrschung, die wir so charmant fanden, schlägt in Kälte um, Kreativität hat etwas Manisches. Traditionelle Werte gleichen engstirniger Provinzialität. Und das beneidenswerte Organisationstalent unseres Gegenübers scheint nach ein paar Jahren nichts anderes zu sein als zwanghafte Ordnungssucht.

Wir verfallen in eine Profi-Amateur-Polarisierung

Häufig verfallen wir dabei in eine Profi-Amateur-Polarisierung: Die Kompetenz des Profis wächst stetig. Zunehmend verärgert über die Schwäche der*des anderen, verliert er oder sie jegliches Interesse daran, die eigene Expertise zu vermitteln. Das Ausmaß an Inkompetenz, dem er*sie sich Tag für Tag gegenübersieht, ist quälend. Der*die Amateur*in wiederum empfindet die Überlegenheit des Profis als Demütigung. Und begegnet ihm*ihr mit Misstrauen, Ablehnung und Verachtung.

Hier ein Beispiel: Stellen wir uns ein Paar vor, in dem eine Person besser organisiert ist als die andere. Anfangs wird sie dafür von der*dem anderen bewundert. Doch im Laufe der Zeit fallen ihr ganz automatisch alle Organisationsaufgaben zu. Das führt zu Unmut und Konflikten. Die Person glaubt, alles im Griff haben zu müssen, weil der*die andere weniger kompetent ist. Es fühlt sich an, als sei sie dazu verdammt, ihr Leben aufgrund eines schicksalhaften Fehlers mit einem*einer notorischen Drückeberger*in zu verbringen. Der Laie wiederum, der einst voller Bewunderung war, stellt enttäuscht fest, wie furchtbar rigide und autoritär der*die Partner*in in Wirklichkeit ist.

Vielleicht hat sich ein Paar auch in den*die Kreative*n und den*die Praktiker*in gespalten. Aus Sicht des*der Kreativen findet der*die andere immer ein Haar in der Suppe; er*sie vermag nicht zu träumen und interessiert sich nur für das, was Gewinn abwirft. Der*die Praktiker*in hingegen hat das Gefühl, der*die andere sei inkompetent, unbeständig und unzuverlässig.


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Der Konflikt entsteht gerade, weil wir mit der richtigen Person zusammen sind

Wird der Druck zu groß, kommt es zur Explosion: Auf einmal herrscht das Gefühl vor, an den*die Falsche*n geraten zu sein. In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall: Der Konflikt entsteht, weil wir mit der richtigen Person zusammen sind! Lediglich der Umgang mit unseren Unterschieden lässt zu wünschen übrig. Denn leider versäumen wir es, einander die Tugenden und Fähigkeiten beizubringen, die wir anfangs so anziehend und bewundernswert fanden.

Nur der Profi kann die Situation entspannen und den Schaden begrenzen (wobei jeder und jede mal Profi, mal Amateur*in ist). Denn er*sie spricht aus einer Position der Stärke. Für den Profi ist es wichtig zu erkennen, dass seine*ihre beneidenswerte Kompetenz die verfahrene Situation nicht nur erschwert, sondern verursacht. Denn ungewollt fördert und stärkt diese Kompetenz die Inkompetenz des*der anderen.

Die Frage ist nur, wie man der anderen Person Kompetenz beibringt. Wir sind schnell davon überzeugt, am besten wäre es, den*die Schüler*in für die Inkompetenz deutlich zu kritisieren. Aber Beschimpfungen wie „Du bist doch pingelig/kalt/verrückt!“, „Du elender Streber!” oder „du Nichtsnutz!” machen nur Angst und verschrecken die andere Person.

Ein Kind wird weder besser in Mathe, wenn man ihm die Lösungen einflüstert, noch, wenn es den Zorn seiner Lehrkraft spürt. Im Gegenteil: Je mehr Wut seine Unsicherheit auslöst, desto verwirrter und verzweifelter fühlt es sich. Was Kinder und Mathe angeht, ist uns dieses Phänomen durchaus bekannt. Wir umschiffen das Problem, indem wir so tun, als wüssten wir die Lösung einer Aufgabe nicht, halten mit unseren Fähigkeiten hinterm Berg und stellen uns schwach, um dem Kind dabei zu helfen, stärker zu werden.

Wir begreifen unser erwachsenes Gegenüber nicht als Anfänger*in

Eine ähnlich freundliche, konstruktive Haltung legen wir in der Liebe leider nicht an den Tag. Für uns ist der*die Partner*in in Sachen Pünktlichkeit oder Zärtlichkeit kein*e Anfänger*in, der*die Anspruch auf Unterstützung hätte. Wir begreifen nicht, dass es eine echte Leistung sein kann, pünktlich zu sein, wenn man eigentlich Angst vor einer Verabredung hat. Oder wie viel innere Kraft es kostet, einen anderen Menschen zu umarmen, obwohl man Intimität fürchtet.

Um die ungute Polarisierungsdynamik zu stoppen, sollten Profis darauf verzichten, Aufgaben zu übernehmen, die ihnen besonders leichtfallen. Sie müssen erkennen, dass ihre Kompetenz für andere Menschen entmutigend sein kann. Eine Zeit lang dürfen sie darum ruhig etwas weniger kompetent sein und ganz freundlich so tun, als seien sie schüchterner, unordentlicher oder weniger kreativ, als das in Wirklichkeit der Fall ist. Ihre Partner*innen werden dadurch ermuntert, den Rückstand aufzuholen und das Gleichgewicht innnerhalb der Beziehung wiederherzustellen.

Das verlangt vom Profi allerdings auch zu tolerieren, dass erstmal manches schief läuft: Die Finanzen können ein wenig durcheinander geraten. Man verpasst vielleicht ein paar Partys. Und unter dem Bett wird sich garantiert Staub ansammeln …

Wir müssen begreifen, dass man Kompetenz zwar nicht verordnen, aber auf sanfte Weise lehren kann. Der*die andere ist ja durchaus bereit, zu lernen. Denn genau darauf beruhte die anfängliche Anziehungskraft: Man fühlte sich von Unterschieden angezogen und hoffte, in der Partnerschaft vollständiger zu werden.

Aber niemand lernt, wenn er oder sie sich ständig gedemütigt fühlt.


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By The School of Life

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